Einblicke in die Praxis II

Neulich erreichte mich eine Email einer ehemaligen Klientin. Es war eine kurze Rückmeldung, wie es ihr ging, Monate nachdem wir die Therapie beendet hatten. Sie war wieder schwanger und frohen Mutes.

Doch von Anfang an. Sie kam zu einem Zeitpunkt zu mir nachdem sie zwei Fehl- und eine Totgeburt erleben musste und außerdem ihre befristete Anstellung geendet hatte. Alltäglichkeiten wie Aufräumen oder auch mal zum Pilateskurs gehen schienen ihr ob ihrer großen Trauer und Erschöpfung unmöglich.

 

Stabilisierung und Ressourcen

Wir prüften zunächst, wie und mit was sie sich im Alltag stabilisieren konnte und was ihr Kraft und Energie gab, z.B. spazieren gehen und Musik hören. Für die Tage zwischen den Sitzungen gab ich ihr kleine Aufgaben mit nach Hause, z.B. sich zu überlegen, wie sie sich einen absoluten Wohlfühlort  vorstellt.

Je stabiler sie sich im Alltag fühlte, je mehr näherten wir uns ihrem Verlust der Babys behutsam und vorsichtig. Wir streiften die Verlustgefühle immer nur soweit, wie sie es schon tragen konnte.

 

Konfrontation in der Traumatherapie

Als sie stabil genug war besprachen wir, dass wir innerhalb von 1-3 Sitzungen konkret ihre traumatisierenden Erlebnisse ansprechen wollten mit dem Ziel, sie in ihr individuelles Raum-Zeit-Gefüge zu integrieren. Damit dies nicht erneut traumatisiert, gibt es in der Traumatherapie neben der vorherigen Stabilisierung viele Techniken (Distanzierungstechniken, EMDR etc.), die es ermöglichen, das Geschehene  – soweit nötig – nochmals durchzugehen.

Ich vergleiche das gern mit Gebirgszügen: wenn das traumatische Erleben der höchste Berg war, den man erklimmen musste, wird es in der Traumatherapie so vorbereitet, dass es als Hügel erlebt wird.

 

Integration

Konfrontation mit dem Geschehenen ist niemals leicht. Wenn es gut vorbereitet wird, ist es doch möglich. Die Klientin hat es gut geschafft. Immer besser gelang es ihr, das, was sie erlebt hatte als zu ihrer Geschichte gehörig zu begreifen und gleichzeitig mehr im Hier & Jetzt zu leben statt in der Trauer zu verharren. Sie konnte ihren Alltag immer besser strukturieren und so passend für sich gestalten, dass wir die Therapie bald einvernehmlich beendeten.

 

Nach einigen Monaten bekam ich eine Email von ihr.

 

Die Familie hat mir die Erlaubnis gegeben, anonymisiert über unsere gemeinsame Arbeit zu schreiben.